Berliner Philharmoniker
Der Auftakt Frühjahr 1882: Als Benjamin Bilse den Mitgliedern seiner Kapelle für eine Konzertreise nach Warschau neben einem ohnehin schon mageren Honorar nur eine
Biographie
Der Auftakt
Frühjahr 1882: Als Benjamin Bilse den Mitgliedern seiner Kapelle für eine Konzertreise nach Warschau neben einem ohnehin schon mageren Honorar nur eine Bahnfahrt vierter Klasse spendieren will, verweigern ihm 50 seiner Musiker die Gefolgschaft und beschließen, sich als »Frühere Bilsesche Kapelle« selbständig zu machen. Von Anfang an erhält das junge Ensemble administrative Unterstützung von dem Berliner Konzertagenten Hermann Wolff. Auf seinen Rat hin ändern die Musiker den Namen ihres Klangkörpers in »Berliner Philharmonisches Orchester«, er sucht auch nach geeigneten Räumlichkeiten und macht eine umgebaute Rollschuhbahn zur ersten »Philharmonie«. Außerdem besorgt er für die von ihm veranstalteten Abonnement-Konzerte den besten Dirigenten ihrer Zeit.
Die großen Orchestererzieher
Hans von Bülow hat schon die Meininger Hofkapelle zu einem erstklassigen Ensemble geformt, als er die Arbeit mit den Berliner Philharmonikern aufnimmt. In nur fünf Jahren legt er die Grundlagen für jene außergewöhnliche Spielkultur, die man fortan mit dem Namen des Orchesters verbinden wird.
Die nach Bülow kommen, bleiben lange: Arthur Nikisch tritt 1895 sein Amt an, und für 27 Jahre prägt er den Orchesterstil entscheidend. »Es kann ohne Zögern behauptet werden, dass in einem erstrangigen Orchesterkörper ein jedes Mitglied die Bezeichnung ›Künstler‹ verdient«, hat Nikisch einmal geschrieben, und mit diesem Credo trägt er bei den Berliner Musikern wesentlich zu dem »solistischen« Selbstverständnis bei, das bis heute eine der unverwechselbaren Qualitäten der Philharmoniker darstellt. Waren Bülows Interpretationen von eher analytischer Brillanz, so sind Nikischs Aufführungen getragen von einer mit sparsamsten Gesten vermittelten klanglichen Pracht und Wärme sowie von einer rhapsodischen, wie improvisiert wirkenden Weite. Dementsprechend liegen seine Repertoireschwerpunkte bei Tschaikowsky, Berlioz, Liszt, Strauss, Mahler – und immer wieder Bruckner. Unter seiner Leitung gewinnt das Orchester international an Geltung, und alle Solisten von Rang und Namen kommen nach Berlin, um mit den Philharmonikern aufzutreten.
Als Nikisch 1922 stirbt, wird der junge Wilhelm Furtwängler sein Nachfolger. Und dieser baut auf Nikischs Errungenschaften auf: Seine eigenwillige Schlagtechnik und sein leidenschaftliches, inspiriertes Musizieren fordern von den Musikern extreme Eigenverantwortlichkeit und Sensibilität. Furtwänglers Philosophie betont die Zeitlosigkeit großer Kunstwerke, und so bekennt er sich ganz bewusst zu den Meistern der Klassik und Romantik. Er und sein Berliner Orchester werden legendäre Interpreten der Werke Beethovens, Brahms’ und Bruckners; gleichzeitig erweitert Furtwängler das Repertoire um zeitgenössische Stücke von Schönberg, Hindemith, Prokofjew und Strawinsky. Mit Auslandstourneen begründen die Philharmoniker ihren internationalen Ruf als eines der besten Orchester der Welt.
Kriegswirren
Die nationalsozialistische Diktatur und der Krieg richten in der deutschen Kulturlandschaft irreparable Schäden an. Dies betrifft auch die Berliner Philharmoniker. Durch den Rassenwahn der Machthaber verlieren sie wertvolle Musiker und geraten im weltweiten Austausch von Solisten und Dirigenten in die Isolation. Gleichzeitig wird das deutsche Vorzeigeensemble für die offizielle Kulturpolitik instrumentalisiert. Dennoch gelingt es Furtwängler und dem Orchester, die künstlerische Substanz über den Krieg hinweg zu retten.
Die Philharmoniker geben unter Leo Borchard schon am 26. Mai 1945 im Titania-Palast, einem umgebauten Kino, ihr erstes Konzert nach dem Krieg, doch im August wird Borchard versehentlich von einem Besatzungssoldaten erschossen. Ein gänzlich unbekannter Nachwuchsdirigent, der Rumäne Sergiu Celibidache, wird praktisch von der Hochschule weg engagiert, und die Einschätzung des Orchesters erweist sich als richtig: Celibidache begeistert mit viel Temperament und großer Programmvielfalt. Wilhelm Furtwängler kann die Philharmoniker erst nach seiner Entnazifizierung 1947 wieder dirigieren. 1952 übernimmt er erneut als Chefdirigent die Leitung des Orchesters.
Die Ära Karajan
Im November 1954 stirbt Furtwängler. Ihm folgt jener Mann, der so lang wie kein anderer als künstlerischer Leiter mit dem Ensemble verbunden bleiben wird: Herbert von Karajan. Er erarbeitet mit dem Orchester eine spezifische Klangkultur, eine Perfektion und Virtuosität, die es in dieser Form bislang nicht gegeben hat und die eine Grundlage bilden für den nationalen wie internationalen Siegeszug des Ensembles – im Konzert wie mit ungezählten Schallplattenaufnahmen.
Darüber hinaus versteht es Karajan, im Orchesterumfeld wesentliche Neuerungen umzusetzen: 1967 werden die Osterfestspiele Salzburg ins Leben gerufen, mit denen die Philharmoniker ihr eigenes international bedeutendes Festival ausrichten und sich auch als Opernorchester profilieren. Eine weitere Initiative ist die Orchester-Akademie der Berliner Philharmoniker, mit der in praxisnahem Unterricht begabte Nachwuchsmusiker auf die hohen Anforderungen eines Spitzenorchesters vorbereitet werden.
In die Ära Karajan fällt auch der Bau der neuen Philharmonie: Seit Oktober 1963 residiert das Orchester in dem von Hans Scharoun entworfenen Konzertsaal, der 1987 um einen Kammermusiksaal erweitert wird.
Claudio Abbado
Nach fast 35 Jahren als Künstlerischer Leiter stirbt Herbert von Karajan im Juli 1989. Sein Nachfolger wird kein Unbekannter: Claudio Abbado dirigierte die Philharmoniker erstmals 1966 und hat sich seitdem die Hochachtung der Musiker erworben. Er ist kein Orchestererzieher im Sinne seiner Vorgänger, er beeindruckt durch Überzeugungskraft und künstlerische Präsenz.
Durch eine Zusammenführung von zeitgenössischem und traditionellem Repertoire in übergeordnete und weitere Kunstsparten mit einbeziehenden Konzepten setzt Abbado neue programmatische Akzente. Jeder Konzertzyklus hat nun eigene thematische Schwerpunkte wie zum Beispiel »Faust«, »Der Wanderer« oder »Musik ist Spaß auf Erden«. Dieser konzeptionellen Modernisierung entspricht eine deutliche Verjüngung der Philharmoniker: Weit über die Hälfte der Musikerinnen und Musiker der heutigen Besetzung werden in dieser Zeit neu in das Orchester aufgenommen. Im Februar 1998 gibt Claudio Abbado bekannt, dass er seinen Vertrag nicht über die Spielzeit 2001.2002 hinaus verlängern wird, und im Juni des folgenden Jahres wählen die Berliner Philharmoniker mit großer Mehrheit einen neuen Chefdirigenten.
Sir Simon Rattle – Zukunft@BPhil
Mit der Ernennung von Sir Simon Rattle gelingt es dem Orchester nicht nur, einen der erfolgreichsten Dirigenten der jüngeren Generation zu gewinnen, sondern auch wichtige Neuerungen einzuführen. Die Umwandlung des Orchesters in die öffentlich-rechtliche Stiftung Berliner Philharmoniker zum 1. Januar 2002 schafft zeitgemäße Rahmenbedingungen für neue Gestaltungsfreiräume und für die wirtschaftliche Kontinuität des Klangkörpers, der zur Zeit über 128 Planstellen verfügt. Gefördert wird die Stiftung durch das großzügige Engagement der Deutschen Bank als Hauptsponsor. Einen Schwerpunkt dieser Förderung bildet das mit dem Amtsantritt von Sir Simon Rattle ins Leben gerufene Education-Programm Zukunft@BPhil, mit dem sich das Orchester breiteren und vor allem jüngeren Publikumsschichten zuwendet. Sir Simon Rattle hat seine Intentionen so zusammengefasst:
»Zukunft@BPhil soll uns daran erinnern, dass Musik kein Luxus ist, sondern ein Grundbedürfnis. Musik soll ein vitaler und essenzieller Bestandteil im Leben aller Menschen sein.« In der 126-jährigen Geschichte der Berliner Philharmoniker bedeutet dies eine Erweiterung ihres kulturellen Auftrags, der sie sich mit dem für sie charakteristischen Engagement widmen.
Für dieses Engagement wurden die Berliner Philharmoniker und ihr Künstlerischer Leiter Sir Simon Rattle zu Internationalen UNICEF-Botschaftern ernannt, eine Auszeichnung, die erstmals einem künstlerischen Ensemble zuteil wird. Die feierliche Ernennung erfolgte im November 2007 in New York vor der Vorstellung des Tanzprojektes The Rite of Spring. Das Tanzprojekt fand während einer zehntägigen residency der Berliner Philharmoniker im Rahmen des Berlin in Lights Festivals der Carnegie Hall statt und wurde im United Palace Theater in Harlem aufgeführt.
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