Rohrblatt | Jg. 38 (2023), Heft 3 | Dr. Diether Steppuhn | 1. Oktober 2023
Fünffach leuchtende Bläserfarbigkeit
Fünf junge Musiker entscheiden sich für je ein Blasinstrument und seine Verwendung in der klassischen Musik, lernen und studieren es, werden damitMehr lesen
Fünf junge Musiker entscheiden sich für je ein Blasinstrument und seine Verwendung in der klassischen Musik, lernen und studieren es, werden damit erfolgreich, suchen eine neue Heimat, finden sie im Rheinland und dort auch zueinander – das ARUNDOSquintett ist geboren und macht sich in seiner neuen Wahlheimat rasch so bekannt, dass es vom Bundesland Nordrhein-Westfalen gleich doppelt finanziell unterstützt wird – als eine von neunzehn Musikgruppen erhält es in der Sparte "Kammermusik" eine ansehnlichen Zuwendung im Rahmen der Ensembleförderung des Landes NRW und dazu von der Kunststiftung des Landes NRW noch ein Stipendium. Die Musiker bedanken sich dafür mit dieser CD.
Jeder und jede der Fünf fand in der neuen Wahlheimat bald eine prominente Anstellung in einem Orchester des Landes: Anna Saha vor fünf Jahren als Soloflötistin im Sinfonieorchester Aachen, Yoshihiko Shimo vor vier Jahren als Solooboist bei den Niederrheinischen Sinfonikern der Theater Mönchengladbach/Krefeld, die Hornistin Lisa Rogers aus den USA vor elf Jahren als Solohornistin bei den Düsseldorfer Symphonikern und Yuka Maehrle vor zwölf Jahren als Solofagottistin bei der Nordwestdeutschen Philharmonie in Herford. Christine Stemmler war Klarinettistin bei den Essener Philharmonikern und stellvertretende Soloklarinettistin im Philharmonischen Orchester Hagen, ist jetzt freischaffende Musikerin und Klarinettenlehrerin an der Musikschule Rhein-Kreis Neuss.
Die Anregung für den Namen ihres Ensembles fand sich in der Pflanzenwelt: Denn ein Fahlrohr, aus dessen Holzstängeln bevorzugt Rohrblätter auch für drei der verwendeten Instrumente hergestellt werden, heißt botanisch Arundo donax [Riesenschilf oder Spanisches Rohr]. Eine Firma Arundos Reeds in Waldbröl im Oberbergischen Kreis des NRW-Regierungsbezirks Köln fertigt solche Rohrblätter.
Vier Werke für Bläserquintett enthält die CD und ihre Komponisten haben auch alle einen sinngebenden eigenen Bezug zum Rheinland. Der Booklet-Text findet im vieldeutigen Begriff "Origin" – das englische Wort ziert in Großbuchstaben als Motto das CD-Cover – einiges, was dem Ensemble für die Werkauswahl mitbestimmend war: Herkunft, Heimat, Inspirationsquelle, Identität. Man liest im Beiheft dazu dies: "György Ligeti entdeckte 1957/58 im Studio für Elektronische Musik des WDR in Köln sich selbst und die Neue Musik; Manfred Trojahn lehrte von 1991 bis 2007 als Professor für Komposition an der Robert-Schumann-Hochschule in Düsseldorf; der Lebens- und Arbeitsmittelpunkt des gebürtigen Düsseldorfers Thomas Blomenkamp liegt im Rheinland; der in Bielefeld geborene Komponist Maximilian Guth legt einen besonderen Fokus auf interkulturelles künstlerisches Arbeiten." Die vier Bläserkompositionen auf der CD, heißt es im Booklet weiter, seien allesamt von anderen Kulturen inspiriert: bei Ligeti durch die ursprünglichen Klänge der Volksmusik des Balkans und bei Guth von ostafrikanischer Trance-Musik, bei Blomenkamp und Trojahn durch Esprit und Raffinesse der französischen Moderne.
Schon die Anordnung der Werke fesselt die Aufmerksamkeit: Der Bogen spannt sich von Blomenkamps "Sieben Rhythmischen Nachspeisen" bis zu Ligetis "Sechs Bagatellen". Blomenkamp verneigt sich verschmitzt vor Eric Satie mit seinen Schmankerln zum Genießen, originell, frech, kurz (nur wenige länger als zwei Minuten). Ligetis charmante Petitessen ähnlicher Machart bekommt man gerade öfter zu hören, weil überall des Komponisten 100. Geburtstag gefeiert wird, sogar bis ins Programm der Salzburger Festspiele. Dazwischen liegen Trojahns dreisätzige Sonata III und Guts NGOMA, beides schwerere Kost, weit entfernt vom Unterhaltungscharakter des klassischen Bläserquintetts, das damit vor zweihundert Jahren eine Musikform prägte, die von Wien aus zahllose große und kleine Adelshöfe Europas mit Backgroundmusik versorgte. Trojahn nimmt das lateinische sonare im Titel seines Stücks ernst: Er lässt im Kopfsatz zehn Minuten lang die fünffache Vielfarbigkeit der Blasinstrumente in einer faszinierenden Verschränkung des jeweils eigenen Klangs in allerhand modernen Spieltechniken und Soundschnipselchen so ineinanderfließen, wie man das bei Messiaen und der Groupe des Six findet: Rhythmisch kaum strukturierte Klangschnippelchen changieren zwischen zarten Klangwölkchen und harten Reibungen, Mischklang und solistische Kurzpassagen wechseln sich ab und das setzt sich in den beiden fünf Jahre später hinzugefügten Sätzen in verstärkt spontan wirkendem Einsatz der Stimmen fort – verstörend und doch wieder faszinierend, vor allem aber ungemein expressiv und nur mit einem hohen Maß an interpretatorischer Disziplin der Musiker zu erreichen. Die hier wohl erstmals erklingende Darstellung der ganzen dreisätzigen Sonata erscheint gleichsam als Uraufführung eines Gesamtwerks, das den Anlass seiner zeitlich separaten Entstehung nicht widerspiegelt – der erste 1992 eine Jubiläumsfeier des Kasseler Museums für Sepulkralkultur, der zweite eine Bitte des SWR um weitere Sätze, die 1997 in Stuttgart uraufgeführt wurden. Dieses vielfarbige Pasticcio – der Komponist nennt die Sätze "Sonnenstücke" – ergötzt Hörer vor allem im Mittelsatz mit skurrilen Figuren, und in meinen Ohren erreicht der Schlusssatz mit seinem Suchen nach Harmonie das erwähnte "Klingen" dann doch, wenn auch in einer schrägen Grimasse, die schmunzeln macht.
Nachhaltig beeindruckt hat mich NGOMA, das Zwölfminutenstück des 31-jährigen Maximilian Guth, der sich interkultureller Musikforschung und -ausübung verschrieben hat. Seine beim Label Decurio erschienene Produktion "Fremd bin ich eingezogen" erregte Aufsehen; denn mit aktuellem Bezug auf weltweite Flüchtlingsbewegungen wird Schuberts "Winterreise" vom Ensemble Asambura gespielt, einer Gruppe von meist jungen Instrumentalisten aus allen Erdteilen, die unter Guths Leitung das Werk auch mit Instrumenten der Weltmusik spielen. Angereichert mit Musik und Texten altpersischer Kultur und Kunst – es geht Guth auch immer um interreligiöse Kommunikation, so auch hier – verwandelt sich das Werk in ein bewegendes Weltepos eigener Art. Auf Bitten des ARUNDOSquintetts steuerte er deren Dankes-CD die Komposition NGOMA bei. Das Wort – so liest man es im Booklet – "bezeichnet im afrikanischen Swaheli die Interaktion von Musik, Trance, Rhythmus, Tanz, Trommelzeremonie und gesellschaftlichem Ereignis, die Bewegung und Spiritualität miteinander verbindet." Musikalische Trance suche dabei Verbindung zu den Ahnen, das sei typisch für viele ostafrikanische Kulturen. Schon nach wenigen Takten vermittelt sich mir im schwebend-flirrendem Klang der fünf Instrumente eine Ahnung dessen, was dem Komponisten aus eigenem Miterleben musikalisch weiterzugeben vorschwebt. Es dauert ein wenig, bis die sonoren Liegeklänge des Ensembles mit kurzen feinen Trommelakzenten aufgelockert werden und sich dann immer mehr in Geräusche verwandeln, aus dem sich ein Sehnsuchtsruf löst, sich entfernt und irgendwo im Nirwana zu verschwinden scheint. Ich erlebte selber einmal wilde Derwischtänze im sudanesischen Khartum, wo Tänzer in Trance fielen und Körper auf der Erde zuckten, ich erlebte im nordpakistanischen Hunza/Karimabad einen Schamanen, der zur oboenähnlichen Musik einer Mizmar und einer Trommel in weiten Sprüngen einen Kreis tanzte und sein langes schwarzes Haar hinter sich herfliegen ließ – beides waren spirituelle Tänze zur Jenseitsbeschwörung; in Maximilian Guths Komposition kam es nicht zu solchen Ekstasen und doch werden spirituelle Energien im Spiel des Quintetts spürbar.
Die in Form und Klang so große Vielfalt der Musikstücke ist für die fünf Interpreten eine Herausforderung, die sie mit makelloser Technik und in ihrem in alle Facetten und Nuancen farbenreich aufeinander abgestimmten Zusammenspiel beeindruckend meistern. Als Dankgeschenk können sich das Rheinland und seine Obrigkeit mit dieser Produktion reich beschenkt fühlen.
Fünf junge Musiker entscheiden sich für je ein Blasinstrument und seine Verwendung in der klassischen Musik, lernen und studieren es, werden damit